Tochter des Windes - Roman by Blanvalet-Verlag <München>
Autor:Blanvalet-Verlag <München> [de Cesco, Federica]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Blanvalet-Verlag <München>
veröffentlicht: 2013-09-16T16:00:00+00:00
22. Kapitel
Du musst Geduld mit mir haben«, sagte Mia. »Die alte Frau pflegt einen Schreibstil, der Generationen lang gelehrt wurde. Sogar mir fällt es schwer, ihn richtig zu entziffern. Abschnittsweise verstehe ich nur Bahnhof! Seitenlang ist hier von Nobunagas Schloss die Rede. Tante Azai schreibt, dass Jan Letzel irgendwann den Wunsch äußerte, die Ruinen zu besichtigen. Yoshiaki konnte seiner Praxis nicht fernbleiben, aber Chimako sagte, doch, sie würde ihn gerne nach Azuchi begleiten. Sie hatte persönliche Gründe, den Ort zu besuchen. Aber davon redete sie nicht.«
»Warum?«
»Weil sich dahinter eine Geschichte verbarg, die Letzel eigentlich nichts anging.«
»O.k.«, sagte ich. »Und dann?«
»Den größten Teil der Strecke legten sie mit der Bahn zurück. Das japanische Schienennetz war bereits gut ausgebaut. Azai, die schulfrei hatte, durfte an dem Ausflug teilnehmen, unter der Bedingung allerdings, dass sie schön artig war und den Mund nur dann aufmachte, wenn sie gefragt wurde.«
»Es fällt mir schwer zu glauben, dass sie dazu fähig war.«
»Oh, von den Kindern wurde Gehorsam gefordert. Und keiner stellte die Notwendigkeit einer strengen Disziplin in Frage.«
»Haben sich die Zeiten geändert!«, kommentierte ich.
Mia nickte zustimmend und vertiefte sich wieder in die geheimnisvollen Texte.
Es war eine strapaziöse Reise gewesen. Azuchi war ein kleines Nest, es gab noch keinen Bahnhofanschluss und auch keine Busse. Mutter musste ein Wägelchen mieten, das von einem Pferd gezogen wurde. Im Juni regnete es viel. Der Kutscher trug, wie in alten Zeiten, einen Strohmantel, um die Nässe abzuhalten, für den Regen gemachte Holzschuhe und als Kopfbedeckung einen breiten Hut, ebenfalls aus Stroh, an dem das Wasser herabrieselte. Mutter hielt einen Regenschirm, und mein Reisemantel war zum Glück aus gutem Stoff. Auch Letzel hatte sich warm eingepackt, trug robustes Schuhwerk und einen Filzhut. Es regnete schon seit Tagen, die Luft war von Feuchtigkeit durchtränkt, und die Reisäcker standen unter Wasser. Die weite Ebene stieg langsam an. Als wir endlich die Anhöhe erreichten, war sogar das Pferd erschöpft. Doch der Regen ließ allmählich nach, Dunstschleier zogen auf, und eine blasse Sonne leuchtete. Mutter befahl dem Kutscher zu warten, während wir drei Reisenden den Hang emporstapften. Weil das Schloss auf einem Berg stand, war kein Wallgraben vorhanden.
An diesem hochgelegenen Punkt fühlten sich die Verteidiger sicher. Hatten sie genug Nahrungsmittel, konnten sie hier eine Ewigkeit durchhalten. Die Festung galt als uneinnehmbar. Der Hang war steil, der Wald zunächst dicht, lichtete sich aber allmählich, und die Luft wurde klarer. Die Sonne kam durch. Mein Herz bebte bei dem Gedanken, dass ich mich nun wirklich in der Nähe der ehrwürdigen Festung befand, die mein Ahne gebaut hatte. Und wenn ich mich umwandte und in die Richtung sah, aus der wir gekommen waren, erblickte ich in der Ferne, wie ein leuchtendes Auge, den Biwasee.
Während Mutter und ich uns auf einen Stein setzten, um uns auszuruhen, wanderte Onkel Jan über das Gelände, wobei er sich eifrig Notizen machte. Er sagte oft, dass er, bevor er zu bauen begann, den Ort befragte. Und er entwarf erst den Plan, nachdem ihm der Ort geantwortet hatte. Wir saßen schweigend da, störten ihn zwar nicht in seinen Gedanken, aber ich ließ ihn nicht aus den Augen.
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